5.6.2017, Pfingstmontag, ca. 22 km
Jakobsweg, Bonn - Metz, Karte: 3. Etappe von Rheinbach nach Bad Münstereifel
Auch an diesem (verlängerten) Pfingst-Wochenende bin ich in Wanderlaune. Heute morgen stehe ich gegen 6 Uhr auf. Ich brauche, wie immer, ein bisschen Zeit, um in den Tag zu finden (gemeinhin findet der Tag eher mich). Und nachdem in meiner bisherigen Schuhauswahl nicht unbedingt ein geglückter Volltreffer zu verzeichnen war, greife ich heute zu meiner letzten Alternative an wanderfähigen Schuhen. Meine Joggingschuhe. Jetzt kann ich so manchen Stirnrunzler förmlich vor meinem geistigen Auge sehen. Ich weiß, optimal werden die auch nicht sein, und spätestens in den kühleren und feuchteren Jahreszeiten brauche ich vernünftige Wanderschuhe. Das ist mir schon klar. Aber momentan.... klappt´s ja vielleicht noch mit diesen. Soweit ein kleiner Exkurs zum Thema Schuhe.
Für diese Wanderetappe fahre ich, wie letztes Mal, über die A 565, nehme wieder die Abfahrt Hardtberg, fahre weiter über die B 56 bis Buschhoven und biege dort links ab, folge der Beschilderung Richtung Rheinbach, dem Ziel meiner letzten Etappe. Mein Auto parke ich an dem mir ja schon vom letzten Wochenende hinreichend bekannten Bahnhof in Rheinbach.
Meine ersten Schritte führen mich, wie zu Beginn jeder neuen Etappe erst einmal in die Kirche. Als ich "St. Martin" betrete, begrüßt mich Orgelmusik. Ein perfekter Start in den Tag, zumal der Organist für mich alleine zu spielen scheint, denn ich bin die einzige Besucherin. Nach einer Weile entspannten Zuhörens breche ich auf.
Und gehe weiter.
Ich verlasse die Stadt über die Bachstraße, unter der heute ein Bach fließt, - daher der Name - . Unter einer Lindenallee geht es immer leicht bergan weiter in den Stadtwald. Glücklicherweise ist es heute angenehm warm, und die Wolken am Himmel versprechen, dass dieser Tag auch nicht so extrem heiß werden wird, wie das letzte Wochenende. Der kleine Pfad, den ich entlangwandere, führt mich an ein paar kleinen Teichen vorbei, die von einem kleinen Bach versorgt werden. Ist es derselbe, der unter der Bachstraße her fließt? Glücklicherweise ist von den Tieren, die sich normalerweise in solchen Gegenden "herumtreiben" und die mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken jagen, weit und breit nichts zu sehen. Ich könnte im Falle einer Begegnung nicht garantieren, dass ich nicht aus den "Latschen" kippe. Dafür aber begrüßt mich wieder der Gesang meines "alten" Begleiters, der mir auf den ersten beiden Etappen schon die Treue gehalten hat. Er scheint gut "drauf" zu sein. Anscheinend hat er auch dieses Mal vor, mich zu begleiten. Ich freue mich. Mit diesen Gedanken stapfe ich den schmalen Wanderpfad entlang, der mich durch diesen sehr hübschen Wald führt. Außer zwei Joggern begegne ich keinem Menschen. Nach einiger Zeit sehe ich am anderen Ende des Weges die Waldkapelle vor mir auftauchen. Ich finde, so wie sie dort im Wald auftaucht, sieht sie sehr romantisch aus. Ich korrigiere mich, nicht sie sieht romantisch aus, sondern das Bild, das sie vermittelt.
Genauer gesagt, steht sie auf einer Waldlichtung und ist umgeben von 12 Kreuzwegstationen. Sie stammt aus dem Jahr 1681.
"1686 wurde hier ein Kloster gegründet, das zunächst von Franziskanern und später von Servitenmönchen .... bewohnt wurde." [ aus: "Jakobswege" .... S. 91, /nähere Angaben zum Buch auf meiner Startseite] Mauerreste dieses Klosters kann man noch heute hier entdecken.
Ich betrete die kleine Kapelle, betrachte die Überbleibsel des ehemaligen Klosters, lasse in Gedanken die Mönche wiederauferstehen, sehe vor meinem geistigen Auge, wie sie hier in diesem Kloster gelebt haben. Damals war das hier wahrscheinlich sehr sehr einsam. Ich mag diesen Flecken hier. Es kann sein, dass es mich hier noch einmal hinzieht.
Jetzt schultere ich erst einmal wieder meinen Rucksack und suche mir meinen weiteren Weg.
Dieser führt mich ein paar Meter die Straße entlang, bevor ich dann links in einen Waldweg abbiege. Während ich durch den Wald laufe, laufen parallel in meinem Kopf dazu die Gedanken: " Ist es eigentlich schon eine Lüge, wenn man etwas verschweigt - zumindest dann, wenn man damit jemand anderen wissentlich täuscht, weil der dann damit von einer komplett anderen Voraussetzung ausgeht? Denn selbst, wenn der andere - mit Verspätung irgendwann doch die Wahrheit erfährt, ist es ja eigentlich eine Täuschung, weil der "Getäuschte" von einer "Realität" ausgegangen ist, die keine war. Diese Frage treibt mich seit einigen Wochen um. Eigentlich ist dieser Tag viel zu schön für solch traurige Überlegungen. Ich weiß darauf auch keine Antwort. Ich schiebe sie kurz entschlossen in meinen Hinterkopf in ein kleines Kämmerlein, wo sie mit einer gewissen Penetranz - aber wenigstens etwas leiser - weiter herumgeistern. Mein Begleiter ruft mir von irgendeinem Baumwipfel aus mit seinem walzertaktartigen Gesang ein paar tröstende "Worte" zu. Das bringt mich zum Lächeln, denn ich mag den Gesang des Zilpzalps. Wahrscheinlich kann ich ihn deshalb auch so gut erkennen. Oder es ist genau umgekehrt.
Mit diesen tiefschürfenden Gedanken betrete ich nach meinem Waldmarsch offenes Gelände mit Blick auf - wenn mich meine Karte nicht trügt - Merzbach. Das Gelände hier ist sanft hügelig und gut zu laufen. Meine Füße geben auch kein Maunzen von sich. Die Joggingschuhe scheinen eine gute Wahl zu sein. Für eine längere Weile laufe ich jetzt immer am Waldrand entlang, auf der linken Seite mit Blick auf die Wiesen und Felder - und Merzbach natürlich. Diesen Ort scheine ich förmlich zu umkreisen. Oder umkreist er gar mich?
Schließlich lasse ich aber doch langsam und sicher Merzbach hinter mir, der Weg führt mich bergan durch die Wiesen. Der Himmel wirkt etwas milchig. Oben angekommen, bleibe ich stehen und lasse die Umgebung auf mich wirken.
Schaue ich zurück, kann ich weit entfernt leicht dunstverhangen die "Kugel" der Radaranlage des Fraunhofer-Instituts in Berkum erkennen. Auch die Tomburg, die etwas versetzt über Rheinbach auf einem Hügel liegt, kann man von hier aus sehen, zumindest erahnen.
Ich gehe weiter, die frustrierenden Gedanken von eben habe ich weg geschoben. Bald geht es bergab durch ein kleines Wäldchen, und es dauert nicht lange, bis ich den kleinen Ort Queckenberg erreiche. Dort geht es - wie sollte es auch anders sein - wieder bergauf, vorbei an der kleinen Kapelle St. Josef, die aber - , wie sollte es auch hier anders sein - , verschlossen ist.
Heute fällt mir das Wandern leicht. Gott sei Dank. Es ist zwar nicht gerade kalt, aber eben auch nicht so extrem heiß.
Nachdem ich Queckenberg verlassen habe, führt der Weg mich wieder durch Wiesen, die manchmal von Baumgruppen unterbrochen werden, und geht dann eine längere Zeit immer am Waldrand entlang, rechterhand mit einem guten Blick über das Euskirchener Vorland, bzw. Euskirchen.
Ich finde diesen Wegabschnitt besonders schön mit der weiten Aussicht, den tollen Lichtverhältnissen. Durch die Wolken erhalten die Fotos mehr Tiefe. Wolken nicht nur als Sinnbilder für Reise, Bewegung oder Unterwegs Sein, sondern auch als Sinngeber. Wolken üben auf mich etwas sehr Faszinierendes aus. Sie sehen nie gleich aus, ändern sich ständig, haben etwas komplett Unabhängiges. Wenn ihnen danach ist, weinen sie, machen kein Hehl daraus. Schon gut, den letzten Satz kann man wieder streichen, da ist mit mir gerade ein bisschen Fantasie durchgegangen. Aber die Metapher ist eigentlich gar nicht so schlecht. Oder ist es eher eine Personifikation? Ich sehe die gerunzelten Stirne (oder Stirnen?) alle vor mir, ja, ja, schon gut, ok., ich komme vom Hölzchen auf´s Stöckchen, ich höre auf und konzentriere mich wieder auf´s Wandern.
Der Wegabschnitt verläuft noch eine ganze Weile so weiter, bis ich schließlich links abbiegen muss Richtung Steinbachtalsperre. Es geht jetzt hauptsächlich durch den Wald am Kloster Schweinheim vorbei, an dem ich allerdings anscheinend blind vorbei gelaufen bin, bis ich schließlich die Steinbachtalsperre erreiche.
Die Steinbachtalsperre ist ein Stausee aus den 30´er Jahren. Wer möchte, kann weiteres unter oben stehendem Link nachlesen. Ich beschließe, hier eine kleine Pause einzulegen, finde sogar eine unbesetzte Bank direkt am See. Hier ist deutlich mehr "Betrieb" als auf meinem Wanderweg bisher. Ich schaue den Menschen beim Flanieren am See zu, genieße den Blick auf das Wasser, meine Gedanken verlieren sich, die Wolken scheinen im See zu baden. Nach ca. einer halben Stunde erhebe ich mich etwas schwerfällig, etwas verträumt, aber entschlossen, gehe weiter. Über den Damm, dann den Seerundweg, Richtung Bad Münstereifel. Mein Weg führt mich einige Zeit an der Straße entlang, bevor er dann wieder links in den Wald einbiegt. Ab da laufe ich vorwiegend durch den Wald.
Manchmal gibt es Unterbrechungen, in denen ich die Landschaft, in der ich wandere, immer wieder neu bestaune. Abwechslungsreich, durch Baumgruppen aufgelockerte Wiesen, sanfte Hügel, kleine Wäldchen, darüber ein wunderschöner Himmel, an dem "meine" Wolken spazieren gehen. Durch die wechselnden Lichtverhältnisse befindet sich die Landschaft in ständigem Wandel. Mein treuer gefiederter Freund scheint sich daran ebenso sehr zu freuen wie ich und "palavert" in einem fort. Inspiriert durch seinen Gesang hätte ich Lust, einen Walzer zu tanzen.
Schließlich gelange ich an eine Weggabelung, eine verlockende Bank, die mich, kurz vor dem Ziel, noch einmal zum Verweilen einlädt, was ich gerne annehme. Dann geht es zur letzten Teilstrecke. Jetzt dauert es nicht mehr lang. Denke ich. Aber wie das so ist, wenn die Beine müde werden, kommt mir diese letzte Teilstrecke extrem lang vor.
" Aber manchmal lohnt sich stoisches Durchhalten", denke ich, als ich durch den Münstereifler Wald stapfe. Das gilt wohl für viele Lebenslagen, gerade, wenn man meint, alle und alles hätte sich gegen einen verschworen, und gerade erfahre ich es buchstäblich am eigenen Leib. Es erfüllt mich mit Stolz, dass ich diese Etappe nun auch fast geschafft habe. Vielleicht brauche ich einfach ein paar positive Erfahrungen wie diese. Vielleicht habe ich deshalb diesen Drang zu wandern. Nicht direkt alles hinwerfen, nicht aufgeben, auch wenn man das eigentlich in manchen Lebensphasen am liebsten möchte.
Münstereifel hat einen Friedwald, durch den ich gerade laufe. Hier kann man seinen letzten Frieden (hoffentlich) in einer Urne unter einem Baum finden. Ich finde diese Idee der Friedwälder sehr schön. Für meinen Teil wollte ich auch nicht in einem Sarg vor mich hin verrotten. Noch schöner als den Friedwald fände ich, meine Asche frei "fliegen" zu lassen, sie dem Wind und den Wolken zu überlassen.
Kurz vor dem Ziel begegne ich einer sehr netten älteren Dame, die mich nach dem Weg fragt, und die, als sie erfährt, was ich da gerade mache, ganz begeistert ist davon. "Ich bin auch den Jakobsweg gelaufen", erzählt sie, "in Spanien, von Burgos nach Santiago de Compostela". Sie berichtet begeistert von den Klöstern am Jakobsweg. Sie haben eine bewegte Geschichte hinter sich, sind sehenswert, auch unter kunsthistorischem Aspekt. Und der interessiert mich sehr. Sie empfiehlt mir, den spanischen Weg zeitlich vorzuziehen, eben weil der so sehenswert sei, und, "solange ich das altersmäßig auch noch gut könnte". Ich muss darüber nachdenken. Ebenso empfiehlt sie mir, wenn ich an Klöstern und Kirchen so interessiert sei, auf jeden Fall Armenien als eines der ältesten Kulturvölker der Welt mit seinen frühchristlichen Klöstern. Dort war sie auch schon, und es scheint kein Problem zu sein, als Frau alleine dorthin zu reisen. Wir beide stehen da mutterseelenalleine im Wald und sie erzählt und erzählt so begeistert... und hat in mir viel Neugier geweckt...
Nach unserem ausgiebigen Plausch im Münstereifler Wald begebe ich mich nun zielstrebig in die "Zielgerade" aus dem Wald heraus Richtung Münstereifel "City", die jetzt um diese frühabendliche Uhrzeit sehr vollgestopft ist mit Touristen.
Bad Münstereifel hat sich sehr gewandelt, weil das eigentlich hübsche historische Städtchen zum City Outlet Center geworden ist. Diese Idee wurde aus einer gewissen wirtschaftlichen Not geboren. Wen es interessiert, der klicke bitte oben stehenden Link an. Gefällt mir gar nicht. Das heißt, die Stadt vielleicht schon, aber nicht die Menschenmassen. Gott sei Dank ist die Kirche nicht weit. Nun sitze ich in der Jesuitenkirche St. Donatus und tanke noch einmal ein bisschen Ruhe, bevor ich mich gleich zum Bad Münstereifler Bahnhof begebe, von wo mich der Zug über Euskirchen zurück nach Rheinbach bringen soll. Dort steht ja mein Auto, und von dort werde ich dann nach Hause fahren.
Ich habe Glück, der Zug und ich erreichen zeitgleich den Bahnhof. Während der Fahrt habe ich wieder Zeit, den Tag Revue passieren zu lassen:
1. Ich hatte dieses Mal die richtigen Schuhe an. Bravo Sigrid.
2. Dieser Wolken-Segler-Tag war wunderschön. Ich habe jede Minute genossen.
3. Die Unterhaltung mit der netten Dame im Wald fand ich sehr inspirierend. Armenien, vielleicht bald?
4. Mit meiner Philosophiererei bin ich nicht wirklich weiter gekommen. Aber vielleicht muss ich erst nachdenken.
5. Ich freue mich auf die nächste Etappe.
Bis vielleicht nächstes Wochenende. Dann von Bad Münstereifel nach Blankenheim. Schon ziemlich in der Eifel.
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