1./2.7.2017. Die sechste Etappe: Von Kronenburg nach Prüm, ca. 25 km
Heute morgen klingelt mein Wecker gegen 5.30. Dieses Mal hätte ich ihn gar nicht gebraucht, denn das gleichmäßige Prasseln des Regens gegen mein Schlafzimmerdachfenster hat mich schon vorher geweckt. Ich überlege, ob ich wirklich losgehen will, gerade, weil es es dieses Mal eine längere Strecke ist. Von Kronenburg nach Prüm, wo ich dann übernachten werde. Ich habe mir in einem Hotel am Ort von einem sehr sympathisch wirkenden Rezeptionisten das sogenannte "Pilgerzimmer" reservieren lassen. Am Sonntagmorgen (es fahren sonntags nur zwei Busse Richtung Gerolstein ...) werde ich dann mit dem Bus nach Gerolstein fahren, von wo mich die Bahn wieder Richtung Dahlem zurückbringen wird.
Ich beschließe, mich von dem bisschen (?) Regen nicht abhalten zu lassen. "Außerdem hört das bestimmt auch irgendwann mal wieder auf". Denke ich. Davon stimmt eigentlich nur das Wörtchen "irgendwann". Aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. "Der einzige Haken wird mein Schuhzeug sein", überlege ich, " macht nichts, ist ja nicht kalt". Als ich eine Dreiviertelstunde später im Auto sitze, befallen mich doch leise Zweifel. Es regnet, regnet, regnet....
Aber ich fahre. Meine mittlerweile schon bekannte Strecke bis Dahlem/Eifel. Dort stelle ich mein Auto wieder auf dem Parkplatz hinter der Bahnhaltestelle ab. Warte auf das Taxi, das mich nach Kronenburg bringen soll. Nach wenigen Minuten hält es neben mir, ich sprinte mit meinem Gepäck von meinem trockenen Behältnis dorthin.
Die Fahrt dauert vielleicht zehn Minuten, bis dahin habe ich noch einiges über Kronenburg erfahren, denn der Taxifahrer stammt aus diesem Ort. Er wünscht mir einen guten Weg, macht kehrt, lässt mich im Regen stehen. Aber das habe ich ja nicht anders gewollt. Jetzt suche ich erst einmal besagten Weg, den ich natürlich prompt nicht finde. Jedoch weiß ich, ich muss erst einmal den Berg hinunter nach Kronenburgerhütte. Dort hoffe ich, wieder auf den Weg zu stoßen. Entschlossen stapfe ich die Straße hinunter, erreiche besagten Ort nach wenigen Minuten. Der Name Kronenburgerhütte geht übrigens auf ein ehemaliges Eisenhüttenwerk im Kylltal unterhalb von Kronenburg zurück. Im 15. und 16. Jahrhundert war in der Eifel die Eisenverhüttung und -verarbeitung stärker verbreitet. [Weiteres in "Jakobswege", S. 120, nähere Angaben zum Buch auf meiner Profilseite.] Auf obigem Foto kann man - trotz Regenschnüren - leicht verhangen auf dem Hügel Kronenburg erkennen. Zu diesem Zeitpunkt, als dieses Foto entsteht, bin ich schon gut angefeuchtet. Meine Regenjacke, die - genau wie ich - auch schon ein bisschen in die Jahre gekommen ist, hält trotz des "vorgerückten" Alters dem Regen ganz gut stand, wohingegen sich meine Füße schon etwas durchweicht anfühlen. Aber das hat einen gewissen Kühlungseffekt. Das kann bei einer längeren Wanderung durchaus angenehm sein. Außerdem hat es auch eine Art Kneippkureffekt. Gesund für Herz und Kreislauf. Man sieht, manche Dinge muss man sich einfach schön reden. Dann geht´s. Und das tu ich jetzt auch. Sowohl ... als auch ...
Ich gehe weiter. Inzwischen habe ich auch meinen Weg wieder gefunden. Der führt mich erst einmal wieder stetig bergauf. Anstrengend. Wie im richtigen (?) Leben ... Ich beabsichtige jedoch nicht, mich davon abhalten zu lassen. Weder ... noch.
Die Landschaft, die sich hier zeigt, präsentiert sich als typisch für die Eifel. Viel Niedriggewächse wie Ginsterbüsche, dazwischen freie Wiesen und Felder, unterbrochen von kleinen und größeren Waldstücken. Auch im Regen schön anzusehen. In der Zwischenzeit habe ich mir meinen Schirm herausgeholt, denn zu glauben, dass mein Rucksack ohne Schutzbezug dem Dauerregen trotzen wird, war wohl etwas zu naiv. Ich hätte es wissen können. Eigentlich.
Ich wandere ja schließlich nicht das erste Mal. So ein hübsches "Regenkondom" für meinen Rucksack habe ich natürlich nicht, kommt auf meine Liste zu den Wanderschuhen ... Für heute muss der Schirm reichen. Tut er auch. Aber es ist halt ein bisschen beschwerlicher, weil lästig. Selbst schuld, Sigrid. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht. Manchmal hätte eine etwas detailliertere Planung durchaus einige Vorteile. Aber dann gibt´s natürlich weniger Überraschungen oder neue(?) Erfahrungen.
Mit diesen neuen Erkenntnissen bestückt, schnappe ich mir meinen nicht mehr ganz trockenen Rucksack und ziehe unverdrossen weiter durch den Regen. Meinen Schirm wechsle ich von einer in die andere Hand, weil mir bei der etwas einseitigen Haltung sonst die Hände einschlafen würden. Aus meinen nassen Schuhen entweichen leise seufzende Quietschgeräusche. Ist aber gesund. Ich denke ganz fest an Herrn Kneipp. Der hat das irgendwann einmal gesagt. Mittlerweile habe ich ein Waldstück erreicht. Durch das Nadelgehölz winken mir die Windräder des Windparks Hallschlag zu. Er gehört zu den größten Windparkanlagen in der Eifel.
Es regnet in einem fort.
Der Regen hat natürlich einen Vorteil. Es ist außer mir kein Mensch unterwegs. Macht wahrscheinlich auch kein normaler. An dieser kleinen Gabelung mitten im Wald biege ich rechts ab. Bis nach Prüm dauert´s noch ein bisschen, lese ich. Aber so gleichmäßig nass, wie ich nun bin, ist das auch schon egal. Nasser als nass gibt´s sowieso nicht. Obwohl, meine Regenjacke trotzt weiterhin tapfer dem triefenden Nass. Von meinem Regenschirm perlen die Wassertropfen stets und ständig auf meinen Rucksack, so dass ich den Sinn des Regenschirms zu hinterfragen beginne. Immerhin war ich wenigstens so schlau, das Interieur meines Rucksacks in kleine Tüten zu packen.
Kurze Zeit, nachdem ich an der Weggabelung rechts abgebogen bin, knackt es im Gehölz, ich erschrecke mich sehr, bleibe stehen und sehe dann höchstens 50 Meter vor mir eine ganze Herde von Rehen meinen Weg kreuzen. Spricht man in diesem Fall überhaupt von einer Herde? Ich weiß es nicht. Aber eigentlich ist es mir auch fast egal. Was ich viel beeindruckender finde, ist die Lautlosigkeit, mit der sie den Weg überqueren. Lediglich das Knacken im Gehölz kurz vorher hat sie verraten. Merkwürdigerweise macht mir diese Begegnung jetzt bewusst, wie einsam ich eigentlich in diesem Wald bin. Aber das empfinde ich jetzt nicht als negativ, sondern als sehr schön. Nur das Knacken im Wald, das Rauschen des Regens, und ich. Was zugegebenermaßen dieses Idyll ein bisschen stört, sind die quietschenden Seufzer meiner Schuhe.
In diesem Zusammenhang fällt mir auf, dass ich heute meinen kleinen Freund, den Zilpzalp, noch gar nicht gehört habe. Vielleicht taucht der ja noch auf. Es sind ja noch ein paar Kilometer bis Prüm.
Gedankenschwer laufe ich weiter durch den tropfenden Wald, die Rehe haben das Weite gesucht. Irgendwann ist der Wald zu Ende, ich betrete freies Gelände, eine Dusche zu meiner Linken am Wegesrand tritt in mein Blickfeld. Eigens für Wanderer gebaut, die im Schweiße ihres Angesichts die Lande zu Fuß durchqueren, wie ich. Kurz entschlossen werfe ich alles von mir, stelle mich unter die Dusche, genieße den Wasserstrahl ..... zumindest in meiner Phantasie. Die Realität sieht anders aus. Denn ich befinde mich seit heute morgen unter einer Art Dauer-Wasserstrahl. Da brauche ich diesen gar nicht. Aber die Vorstellung hat etwas.
Wahrscheinlich wird das Wasser hier eher für Tiere oder Landwirtschaft gebraucht.
Ungefähr eine halbe Stunde nach meinem "Dusch-Intermezzo" erreiche ich Ormont. Dieser Ortsname leitet sich ab aus dem Französischen "Or"= Erz, Gold, mons= der Berg. In dieser Region wurde Vulkansand abgebaut. Der Name leitet sich wahrscheinlich aus den im Vulkansand enthaltenen Biotitkristallen ab, die eine goldgelbe Färbung aufweisen. ["Jakobswege", S. 122, weitere Angaben zum Buch auf meiner Profilseite.]
Als ich Ormont erreiche, betrete ich auch "fremdes Hoheitsgebiet" - das Bundesland Rheinland-Pfalz. Nach einer kleinen Regenpause beginnt es wieder, ziemlich heftig zu regnen. Deshalb sind meine Gründe vorwiegend weltlich, als ich etwas überstürzt die St. Margareta-Kirche aufsuche. Diese Kirche wurde 1850 im neugotischen Stil neu erbaut und zählt zu den Hallenkirchen. Ich bin sehr froh, dass diese Kirche geöffnet ist, denn draußen regnet es gerade sintflutartig. Ich setze mich und frage mich, ob die beiden Wanderer, die ich gerade aus den Augenwinkeln erspäht habe, unter dem Vordach, unter das sie sich gekauert haben, nicht völlig durchnässt werden.
Diese Regenphase nutze ich, um mir die Kirche etwas genauer anzusehen und ein bisschen auszuruhen. Danach mache ich mich wieder auf den Weg. Es regnet immer noch, aber nicht mehr ganz so stark. Die beiden Wanderer von eben sind nicht mehr da. "Wahrscheinlich vom Regen weggeschwemmt", denke ich.
Ich lasse Ormont hinter mir, es hat sogar einmal aufgehört, zu regnen. Am Ortsende biege ich ab, mein Weg führt mich durch Wiesen auf eine Baumgruppe zu, vor der eine Bank steht. Beim Näherkommen stelle ich die höckerartigen Betongebilde fest, die sich in dieser Baumgruppe aufreihen. Der Westwall, Ardennenoffensive, Panzersperre. Diese Begriffe kommen mir in den Sinn. "Erbstücke" aus dem Zweiten Weltkrieg. Es ist nicht viel davon zu sehen. Das Waldstück ist nicht sehr groß. Ich stelle meinen Rucksack sehr optimistisch auf die Bank, es regnet ja nicht mehr, und umrunde die Baumgruppe mit ihrem geschichtsträchtigen "Inhalt".
"Jakobswege", S. 122 [ weiteres zum Buch auf meiner Profilseite]: Der Westwall ..."war als Verteidigungslinie geplant und umfasste im Ausbauzustand des Jahres 1940 von Goch am Niederrhein bis Basel ca. 630 km Länge. Wichtige Bestandteile waren sowohl die ´Höckerlinie ` , eine aus Beton gebaute Panzersperre, als auch Bunkeranlagen, insgesamt 17000 betonierte ´Kampfstände`, die durch den Reichsarbeitsdienst errichtet wurden. Im Altkreis Prüm gab es allein zehn Lager für mehr als 7000 Arbeiter..."
Mittlerweile wurden die Bunkeranlagen gesprengt und mit Erde überschüttet. Sie markieren als Hügel aber noch heute den Verlauf des Westwalls auf dem Höhenrücken der Schneifel.
Als ich weitergehe, - es hat auch wieder begonnen zu regnen, - denke ich, dass die Generationen, die den Krieg nicht mehr mit erleben mussten, sehr sehr froh darüber sein können. Dennoch bin ich der Meinung, dass wir die Schuld unserer Vorfahren, die diesen Krieg angezettelt haben, niemals vergessen dürfen. Wir tragen zwar keine Mitschuld, aber ich sehe es als eine Art Erbschuld, die wir auf jeden Fall mit tragen. Man könnte das auch als eine Art Methode bezeichnen, damit wir die Geschichte nie vergessen, nie vergessen, damit so etwas nie mehr passiert. Trotzdem habe ich festgestellt, dass es leider genügend Menschen gibt, die da gravierende Erinnerungslücken zu haben scheinen. Und das finde ich sehr beunruhigend.
Die Bundestagswahlen stehen vor der Tür. Wählen gehen ist ein "Muss". Das kleinste Übel zu wählen ist besser, als gar nicht wählen zu gehen, denn damit schenkt man denen eine Stimme, die man auf keinen Fall in der Regierung sehen will.
Und manchmal denke ich, dass ich nicht mehr ganz jung bin, ist vielleicht auch Glück. Ich glaube, ich möchte nicht mehr alles mit erleben, was da noch kommt. Ich habe vielleicht nicht direkt Angst, aber ich finde einige politische und gesellschaftliche Entwicklungen sehr beunruhigend. Hier greift eines in das andere. Und das ist nicht gut.
Ich möchte gerne noch das eine oder andere Schöne sehen und ich würde gerne auch noch ein paar schöne Dinge erleben, bevor ich ins Gras beiße. Und manchmal denke ich, vielleicht bleibt nicht mehr viel Zeit.
Diese Gedanken wirbeln mir im Kopf herum, während ich wieder einmal einen Hügel hochtrotte, einen Wald durchquere, den ich eigentlich gar nicht durchqueren dürfte, da er wegen Forstarbeiten gesperrt ist, offiziell. Aber es ist Samstag. Es regnet ohne Unterlass. Ich sehe auf dieser Strecke keinen einzigen Forstarbeiter. Regen macht einsam. Aber gegen diese Art der Einsamkeit habe ich nichts einzuwenden. Als ich den Wald durchquert habe, komme ich an eine Straße, an der ich ein Stück entlang laufe, bis zu einer großen Kreuzung.
Diese überquere ich ebenfalls, bis ich rechts auf den sogenannten Schneifelhöhenweg gelange, der einige Zeit parallel zur L 20 verläuft. Dieser Weg ist eigentlich eher ein Pfad als ein Weg. Ich weiß nicht, wie lange ich diesen Pfad entlang wandere. Mir kommt es endlos vor. Das liegt nicht am Pfad, der sehr schön verläuft. Das kann eher daran liegen, dass der Regen beginnt, mir langsam auf den Nerven herumzutropfen.
Aus "Jakobswege", S. 123 [weitere Angaben zu dem Buch auf meiner Profilseite]: "Der Begriff Schneifel bezieht sich auf einen lang gezogenen Bergrücken, der sich über 15 km von Ormont bis Bleialf erstreckt und mit der Höhe von 697 m ü.NN am ´Schwarzen Mann` die dritthöchste Erhebung der Eifel darstellt..."
Nachdem ich - geschätzt - mindestens eine Stunde den Schneifelhöhenweg entlang gewandert bin, überquere ich die L 20. Jetzt führt mich ein breiter Waldweg immer bergab Richtung Gondenbrett. Hier entsteht auch mein tropfendes "Selfie". Dieses Mal nicht ganz so übermütig, wie auf meiner letzten Wanderung, sondern eher aus einer Portion Galgenhumor heraus. Hier im Wald tropft es wenigstens ein bisschen langsamer. Man kann sich fast einreden, es regnet kaum noch. Mein kleiner Begleiter ist auch wieder aufgetaucht. Hat wahrscheinlich durch die Wald-Gerüchteküche mitbekommen, dass da eine rot-bekapuzte Wahnsinnige durch die Wälder "rennt" und quietschende Laute von sich gibt. Seine Vermutung, dass ich das sein könnte, bewahrheitet sich jetzt, obwohl er mich in diesem Aufzug erst fast nicht erkennt. Ich freue mich auch, von ihm zu hören, der treuen Seele.
Mein Weg führt mich immer weiter bergab durch den Wald, bis ich an freies Wiesengelände gelange. Außerdem regnet es gerade einmal nicht. Ein Holzstoß am Wegesrand lädt mich zu einer kleinen Rast ein. Appropos Rast, es dürfte aufgefallen sein, dass ich dieses Mal kaum von Rast oder Pausen erzählt habe. Woran das wohl liegen mag?
Setzen kann man sich auch hier nicht, aber es ist schon angenehm, sich für einige Zeit einmal von seinem Rucksack zu befreien, der sich übrigens schön feucht anfühlt. Mein Schirm hat ganze Arbeit geleistet. Trotzdem denke ich, ganz ohne Schirm wäre er wahrscheinlich klatschnass. Ich packe meine Brotzeit aus, genieße den Ausblick auf die Umgebung.
Als es wieder zu regnen beginnt, packe ich hastig meine Siebensachen zusammen, gehe weiter. Habe plötzlich ein mulmiges Gefühl. Wer kennt das Gefühl, dass jemand hinter einem her geht, ohne dass man ihn vorher gehört oder gesehen hat? Genau dieses Gefühl habe ich jetzt. Ich drehe mich um, und sehe in noch etwas weiterer Entfernung zwei Wanderer, genauso bepackt wie ich. Das Mulmige weicht dem Gefühl des Déjà Vu. Die beiden Wanderer kommen mir bekannt vor. Aber noch sind sie zu weit entfernt. Ich gehe weiter, und einige Minuten später haben sie mich eingeholt. Ich bleibe stehen, um sie vorbei zu lassen, - und tatsächlich, es sind die beiden, die ich auf meiner Tour von Blankenheim nach Dahlem getroffen habe, und möglicherweise auch dieselben, die ich vor ein paar Stunden in Ormont gesehen habe, als ich vor dem Regen in die Kirche geflüchtet bin. Also doch nicht vom Regen weggeschwemmt. Auch die beiden "Jungs" scheinen mich wieder zu erkennen, wir grinsen uns alle breit an, grüßen uns freundlich, ich denke, die Wiedersehensparty steigt dann, wenn wir uns ein drittes Mal treffen...
Bis kurz vor Gondenbrett gehe ich nun hinter den beiden her, in etwas weiterem Abstand, denn sie haben unbestreitbar die längeren Beine und sind einfach schneller als ich. Aber ich darf mich an ihrer Rückansicht erfreuen. Zum Schluss aber nur noch verschwommen, denn der Abstand vergrößert sich, bis sie dann plötzlich verschwunden sind.
Der restliche Weg nach Gondenbrett verläuft sehr steil ins Tal hinab. Und wie das so ist mit Tälern, auf der anderen Seite geht es dann wieder hinauf. Doch zuerst betrete ich noch die Kirche St. Dionysius, die am Weg liegt. Diese Kirche wirkt auf mich ziemlich eigenwillig. Das mag hauptsächlich an dem "Heimatgemälde" an der Vorderseite der Kirche liegen. Die Kirche selbst stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Es gab wohl auch eine Vorgängerkirche. Aber darüber scheint heute nichts mehr bekannt zu sein. Nur eine Pietà aus dem 16. Jahrhundert und der Hochaltar aus dem 17. Jahrhundert stammen noch aus dem Vorgängerbau. Dieses Mal bleibe ich nicht lange in der Kirche. Das liegt unter anderem auch daran, dass der Nachmittag schon weit fortgeschritten ist. Außerdem habe ich noch ein ganzes Stück Weg vor mir. Der jetzt erst einmal ziemlich steil bergauf führen wird. Meine Beine beginnen, etwas lahm zu werden. Außerdem tanzt der Regen mittlerweile auf meinen Nerven herum.
Der Weg hält definitiv, was mein Wanderführer mir versprochen hat. Es folgt jetzt eine längere Strecke, die ziemlich steil bergauf führt. Ich verkompliziere das Ganze noch etwas, weil ich noch höher hinauf gehe, als ich muss, da ich mich durch ein fehlendes Schild irre leiten lasse. Meistens ist der Jakobsweg wirklich ziemlich gut ausgeschildert, aber manchmal fehlt den Schildern die Eindeutigkeit, bzw. sie fehlen einfach. Ja, ja, ich weiß, da gibt es ja auch noch Karten, GPS und Co. Aber es ist nervig, ständig die Karte zu zücken, wenn alles tropfnass ist. Dieser Satz wird den Befürwortern des GPS ein breites Grinsen ins Gesicht zaubern. Aber auch Handys können nass werden. Ich grinse jetzt auch. Fakt ist, ich habe den falschen Weg eingeschlagen. Als ich völlig erschöpft ganz oben ankomme, verläuft sich der Weg einfach in der Wiese. Jetzt merke ich, dass ich mich geirrt haben muss. Also stapfe ich leise vor mich hin schimpfend wieder hinunter, biege einfach auf den Weg ab, den ich eigentlich keinesfalls gehen wollte, weil der wieder ganz nach unten zu führen scheint. Und da komme ich doch gerade her. In Ermangelung einer besseren Idee schlage ich ihn jetzt trotzdem ein - und - er stellt sich als richtig heraus. Er führt nur ein kleines Stück bergab und steigt dann wieder an. Und so bleibt es für die nächste Zeit auch. Irgendwann dann geht es nicht mehr höher. Ich kann über die freien Wiesen und Felder schon Prüm sehen. Geschafft. Nein immer noch nicht. Pustekuchen.
Ich glaube, jetzt ist es an der Zeit, einmal kurz Rumpelstilzchen zu spielen. Also suche ich mir den entsprechenden Baum... Und ein Feuerchen kann ich mir auch nicht anzünden. Zu nass.
Das hilft also auch nichts.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als wacker weiter zu schreiten. Was ich auch mache. Ich will schließlich nicht hier draußen übernachten.
Also verlasse ich meinen Aussichtspunkt, erreiche nach kurzer Zeit die Landstraße, die nach Prüm hineinführt. Nachdem mich die Muschel an einer Straßengabelung noch auf einen kleinen Umweg schicken will, streike ich, sondern schlage den direkten Weg an der Straße entlang nach Prüm hinunter ein. Ich weiß nicht, wieviel Zeit mich der zusätzliche Weg noch gekostet hätte, aber ich bin am Ende meiner Kräfte und völlig durchnässt. Glücklicherweise führt mich die Straße direkt zu meiner Unterkunft. Sie liegt vis-à-vis zur Prümer Salvator-Basilika. Ich muss sie nicht mehr suchen. Die Kirche schaue ich mir morgen an. Jetzt sehne ich mich nur noch nach einer heißen Dusche. Ich bin stolz auf mich. Ich habe durchgehalten und trotz Widrigkeiten mein Ziel erreicht. Inzwischen ist es 19.30 Uhr.
In meiner Unterkunft belege ich mein "Pilgerzimmer" mit Beschlag. Es ist sehr einfach gehalten, aber sauber, - und - das Wichtigste, es hat eine Dusche. Die Toilette befindet sich außerhalb des Zimmers auf dem Gang. Aber sie ist für mich allein. Zuallererst packe ich meinen Rucksack komplett aus, stelle ihn an die Heizung, die ich aufdrehe. Gott sei Dank funktioniert sie. Binnen kurzer Zeit habe ich sämtliche Heizkörper mit nassen Sachen belegt. Nach der Dusche falle ich todmüde in mein Bett, schlafe wie ein Stein. Am nächsten Morgen weckt mich mein Handy zeitig, denn der Bus nach Gerolstein fährt schon um 8.20 Uhr. Der zweite und auch letzte für diesen Tag fährt erst um 16.20 Uhr. Und das ist mir definitiv zu spät. Also verzichte ich auf ein Frühstück, sondern schaue mir, bevor ich mit dem Bus fahre, noch die Basilika von innen an.
Viel Zeit dazu habe ich allerdings nicht. Ich werde mir die Basilika genauer angucken, wenn ich das nächste Mal hier bin, um meine nächste Etappe zu wandern. Dann aber nicht mehr im Dauerregen. Gestern abend war ich definitiv zu müde und heute habe ich die Zeit dafür nicht.
Aus "Jakobswege", S. 124/125 [nähere bibliographische Angaben auf meiner Profilseite]: "Seit dem 12. Jh. entstand aus den vielen Besitzungen in der Eifel das geschlossene Herrschaftsgebiet des Abtfürstentums Prüm mit entsprechendem Privileg aus dem Jahr 1222. ...Eine grundlegende bauliche Erneuerung der Klosteranlage und Kirche erfolgte ab 1721. Prüm wurde zu einer kleinen barocken Residenz ausgebaut. Nach schweren Kriegsschäden ab 1950 wiederhergestellt, dominiert die Salvator-Basilika mit ihrer Front aus weißem Putz und rotem Sandstein und den beiden Türmen im Stil des Barock bis heute das Stadtbild.... Der Innenraum zeigt noch zahlreiche gotische Stilelemente, die beim Neubau der Kirche im 18. Jh. aufgenommen wurden... Der barocke Hochaltar ist ursprünglich für die Karmeliterkirche in Bad Kreuznach gebaut worden und kam erst nach 1926 nach Prüm..."
Ich würde gerne noch ein bisschen länger in der Kirche bleiben, - ich bin wie fast immer bisher, alleine - aber mein Bus fährt gleich, und ich muss die Haltestelle noch suchen, denn im Zuge der Umbauarbeiten vor der Basilika sind die Bushaltestellen verlegt worden.
Dank der ziemlich guten Beschreibung der freundlichen Rezeptionistin in meiner Unterkunft von letzter Nacht finde ich die Haltestelle auf Anhieb. Auch hier scheinen sich die großen Busse nicht zu lohnen, denn an der Haltestelle wartet lediglich ein Minibus. Ich klopfe an das Autofenster. Der Fahrer scheint mich nicht zu hören. Ich klopfe ein zweites Mal. Er öffnet die Tür, Klänge orientalischer Musik begrüßen mich, ich denke an Istanbul, vielleicht kommt der Mann ja von dort, steige ein, will bezahlen, er winkt ab, ich soll mich setzen. "Na gut", denke ich, "vielleicht ja gleich". Er fährt los, ein paar Minuten zu früh, aber ich wundere mich über überhaupt nichts mehr. Ich bin der einzige Fahrgast. Der gute Mann fährt mit einem heißen Reifen durch die kleinen Eifeldörfer, orientalische Klänge hallen in meinen Ohren, mir wird bauchtänzerisch zumute. Diese Phantasie hat etwas. Aber der Durchgang hier ist eigentlich ein bisschen zu eng dafür. Diese Fahrt im Taxi "Istanbul" werde ich so schnell nicht vergessen. Daher bin ich nach einer knappen halben Stunde auch etwas enttäuscht, dass die Fahrt quer durch den musikalischen Orient abrupt in Gerolstein endet. Auch mein letzter Versuch, dem Fahrer das Fahrgeld in die Hand zu drücken, scheitert kläglich. Er will nichts. Und er begründet das auch, aber ich verstehe nicht, was er meint. Vielleicht habe ich ihn mit meinem Phantasie-Bauchtanz verwirrt. Dann besitzt er allerdings hellseherische Fähigkeiten.
Als ich nach der etwas abenteuerlichen Busfahrt durch die Eifel in meinem Zug sitze und Richtung Dahlem fahre, lasse ich, wie immer, meine Wanderreise Revue passieren.
- Wenn Kneippen wirklich so gesund ist, werde ich für den Rest dieses Jahres bestimmt keine Grippe mehr bekommen.
- Dahlem wird für mich gerade so etwas wie der "Nabel der Eifel".
- So viel Regen muss das nächste Mal nicht mehr sein.
- Die Wanderung hat gut getan, trotz gelegentlicher "Ausfälle". Vielleicht auch gerade deshalb.
- Ich werde mir gute Wanderschuhe besorgen!
- Das nächste Mal werde ich für meine Wanderung ein paar Tage einplanen. Der Anfahrtweg wird sonst zu weit.
- Tschüss Herr Zilpzalp. Bis zum nächsten Mal.
Das nächste Mal wird ein bisschen dauern, da mir ein paar Termine "im Weg" stehen. Aber die Sommerferien rücken unaufhaltsam näher. Dann... Bis bald.
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