4.8.2017. Die achte Etappe: von Schönecken nach Waxweiler, ca. 14 km.
Am nächsten Morgen weckt mich mein Handy aus einem absurden Traum, in dem mich die Einwohner von Schönecken fähnchenschwenkend an meiner Strecke zur Pension hinauf lautstark angefeuert haben. Ihre Rufe hallen noch in meinen traumverhangenen Ohren nach, als ich mich für einen Moment auf die Terrasse setze, um mir ein paar Tagebuchnotizen über den gestrigen Tag zu machen. Denn sonst ist die Gefahr groß, dass ich wichtige oder auch amüsante Begebenheiten einfach wieder vergesse. Außerdem rufe ich in Waxweiler in einem kleinen Gasthaus an, um mir ein Bett für die kommende Nacht zu sichern. Circa 1 1/2 Stunden später starte ich durch ein gutes Frühstück gestärkt meine achte Etappe Richtung Waxweiler.
Während meines steil abfallenden Weges hinunter in den Ort steht leider kein Mensch am Straßenrand, um mich anzufeuern. Noch nicht einmal ein Fähnchen ist in Sicht. So etwas passiert wahrscheinlich nur im Traum. Was so ein Traum wohl über mich aussagt? Ich glaube, das will ich gar nicht wissen. Unten im Ort angekommen, halte ich vergeblich Ausschau nach meinem Wegweiser, der Jakobsmuschel. Nachdem ich erst noch ein bisschen im Ort herumgeirrt bin, beschließe ich, die Richtung zur Kirche einzuschlagen. Das kann nicht falsch sein. Und so ist es dann auch. In Schönecken befinden sich eigentlich zwei Kirchen. Zum einen die gotische St.-Leodegar-Kirche aus dem Jahre 1448 und die Kirche "Unserer Lieben Frau", die im Jahre 1955 in Hallenbauweise an die alte Kirche einfach angebaut wurde. Wer mehr über diese Kirche(n) erfahren möchte, kann gerne unter oben angegebenem Link (blau) zusätzliche Informationen erfahren. Leider konnte ich keine Innenaufnahmen von der Kirche machen, da zu dem Zeitpunkt, als ich dort war, eine Messe stattfand. Aber ich fand die Zusammenführung zweier verschiedener Baustile ziemlich interessant, wobei mir der gotische Stil der älteren Kirche besser gefallen hat.
Nach dem recht besinnlichen Einstieg in den Tag - allerdings warte ich das Ende der Messe nicht ab -, verlasse ich Schönecken. Erst führt mich mein Weg ein Stück Landstraße zeitweise zwischen Maisfeldern entlang, bis er
nach rechts abbiegt, um dann später am Hang einer Obstwiese vorbei zu führen, bis ich schließlich vor offenen Feldern an einer Weggabelung stehe. Und ... kein eindeutiger Wegweiser in Sicht.
Prompt schlage ich die falsche Richtung ein, und umkreise das Feld - völlig erfolglos, denn kein weiteres Hinweisschild in Sicht - in keine Richtung. Ich fluche wieder einmal völlig pilgerungemäß vor mich hin und beschließe nach einer Dreiviertelstunde sinnlosen Umkreisens den Weg in das nächste Dorf anzutreten, das ich von "meinem" Feld aus sehen kann.
Gesagt, getan, ich laufe in das Dorf hinunter, das den schönen Namen Dingsdorf trägt, was ich zu dem Zeitpunkt jedoch noch nicht weiß. Erst als ich unten ankomme, eröffnet sich mir der Name des Dorfes, und hilft mir bei meiner Orientierung. Dazu habe ich mir vor einer kleinen Kapelle ein schattiges Plätzchen auf einer Bank ausgesucht. Eine Frau kommt des Weges, die ich um Hilfe bitte. Da ich offensichtlich einen etwas niedergeschlagenen Eindruck mache, tröstet sie mich mit den Worten, dass sich da oben an dem Feld ständig Wanderer verlaufen. Ich sei nicht die einzige. Und das tröstet mich tatsächlich.
Nach dieser unfreiwilligen Pause schlage ich den Weg ein, den mir die Frau genannt hat und stoße circa eine halbe Stunde später wieder auf den Jakobsweg. Dieser führt mich nach einem kurzen Intermezzo auf der Landstraße links abbiegend Richtung Nimsreuland. Es folgt ein sehr schöner Weg durch ein kleines Tal, das geprägt wird durch einen mäandernden Bach. Es ist so schön und still hier, dass ich beschließe, hier eine kleine Pause zu machen, um den Anblick, der sich mir bietet, zu genießen. Langsam merke ich auch den Fußweg von gestern, der mir noch in den Knochen steckt.
Nach meiner Genießerpause schultere ich meinen Rucksack, gehe meinen Weg weiter. Kurze Zeit später erreiche ich Nimsreuland, wo ich rechts abbiege. Es geht erst ein Stück an der Landstraße entlang - immer schön bergauf - dann biege ich links ab in das Heisdorfer Tal. Der Weg schlängelt sich an ein paar Weihern vorbei, erreicht bald einen Wald. Ab dort geht es jetzt erst einmal nur noch bergauf. Irgendwann unterquere ich die Talbrücke, über die die A60 führt. Nach der Zeit der Stille schallt es hier ziemlich laut von der Autobahn herunter. Und es geht immer noch bergauf. Ich schimpfe wieder einmal leise vor mich hin. Der aufmerksame Leser wird langsam merken, dass ich das oft zu tun pflege, wenn es anstrengend wird. Das gehört einfach zu mir. Entscheidend ist, dass ich mich trotzdem nicht so schnell von einem Vorhaben abbringen lasse. Egal, in welcher Lebenslage. Ja, ja, ich gebe zu, manchmal ist das anstrengend. Für andere, meine ich.
Irgendwann dann lässt die Steigung nach, ich gelange in einen Wald, in dem sich anscheinend vor allem Fliegen wohl zu fühlen scheinen. Und jetzt, in der Zeit, in der ich den Wald durchquere, fühlen sie sich vor allem wohl bei mir, der liebste Anflugspunkt ist meine Nase. Zugegeben, das macht mich wahnsinnig. Aber wenn ich stehen bleibe, wird´s auch nicht besser, und rennen ist ebenfalls keine Option - mit dem schweren Rucksack.
Irgendwann schleicht sich in das Kampfgetümmel mit den Fliegen ein süßlicher Duft in meine Nase. Dieser Duft kommt mir bekannt vor, ich kann ihn aber nicht zuordnen. Die Fliegen sind es ganz gewiss nicht. Ich schaue mich um, was um aller Welt kann hier in diesem Wald so süßlich duften. Ich schnuppere mich den weiteren Weg entlang, kann aber nichts "Verdächtiges" entdecken. Der Duft bleibt in meiner Nase, intensiviert sich sogar noch, als ich eine Weggabelung erreiche, mit Aussicht auf ein Meer von Kleeblüten... jetzt weiß ich, woher dieser unsichtbare Duft kommt ...
Ich entledige mich meines Rucksacks, stürze mich in diese lila duftende Pracht hinein, kann gar nicht genug bekommen, dazu das ständige Wechselspiel aus Wolken und Sonne, laufe durch das riesige lilafarbene Feld, fühle mich wieder zurück versetzt in Kindertage. Irgendwann wird mir die Rennerei durch das Feld doch zu viel, denn schließlich habe ich schon einige Kilometer hinter mir und lasse mich japsend mitten in das Feld fallen, bleibe auf dem Rücken liegen, beobachte die Wolken am Himmel. Und wieder einmal fällt mir Eichendorff ein. Ich glaube, ich bin eine unverbesserliche Romantikerin. Mein Text "Wolkencode" fällt mir ein. Er ist zwar schon ein etwas älterer Text, aber immer noch aktuell..., oder soll ich sagen, wieder....
Nachdem ich eine längere Zeit den Wolken bei ihrer Reise über den Himmel zugeschaut und den Bienen und Hummeln zugehört habe, die sich auf den Kleeblüten tummeln, rappele ich mich auf und sehe in etwas weiterer Entfernung ein paar Rehe, die im Feld äsen. Ich würde ja jetzt gerne erzählen, dass wir uns Auge in Auge gegenüberstanden, das Foto unten würde mich jedoch direkt der Lüge überführen, dazu sind wir zu weit voneinander entfernt. Als sie mich bemerken, ergreifen sie schnell die Flucht." Ich scheine in einigen Lebewesen den Fluchtinstinkt zu wecken", denke ich traurig. Bevor ich aber in Selbstmitleid versinke, mache ich mich schnell wieder auf und ziehe weiter. Ich sollte weniger in Metaphern denken. Das ist nicht immer gesund.
Mein Weg führt mich noch eine ganze Weile an dem Kleeblütenmeer vorbei, ihr Honigduft steigt mir langsam zu Kopfe. Von hier oben bietet sich mir ein grandioser Ausblick in die Eifel hinein. Nachdem ich eine Weile vor mich hin gestiefelt bin, erreiche ich das kleine Dorf Lascheid. Der Blick von hier über die Eifel hinweg ist wirklich wunderschön.
Nachdem ich den Ort in kurzer Zeit durchquert habe, empfängt mich ein ähnliches Schilderspiel wie an dem Feld oberhalb von Dingsdorf. Jetzt habe ich die Nase voll. Es ist mittlerer Nachmittag und ich habe noch ca. fünf Kilometer vor mir, meine Füße fühlen sich auch etwas sensibilisiert von der Tour gestern, kurz gesagt, ich möchte keine unnötigen Umwege laufen. Also werde ich mir untreu, und schalte das erste Mal während der ganzen Etappen, die ich nun schon hinter mir habe, das GPS ein. Und ich muss gestehen, das war ein weiser Schachzug.
Das GPS schickt mich ohne weitere Umwege erst einmal drei Kilometer die Landstraße entlang. Ohne GPS wäre ich wahrscheinlich rechts abgebogen und hätte mir einen Riesenumweg aufgebürdet. Auf diese Weise wandere ich weiter mit Blick auf ein beeindruckendes Eifel- und Wolkenpanorama.
Schließlich biege ich nach links ab, laufe durch ein kleines Wäldchen auf die Mariensäule von Waxweiler zu. Sie thront auf dem Hügel und blickt hinab auf den kleinen Ort Waxweiler.
"Die Madonna vom Eichelsberg
Waxweiler gehörte bei der Ardennenoffensive 1944/45 zum Aufmarschgebiet der Wehrmacht- In diesen schweren Zeiten gelobte die Bevölkerung von Waxweiler die Erbauung eines Denkmals zu Ehren der Gottesmutter, wenn ihr Heimatort verschont bliebe. Bei einem Bombenangriff amerikanischer Flieger am 8. Januar 1945 kamen mehrere Einwohner und Männer und Frauen, die zum Arbeitseinsatz in Waxweiler waren, ums Leben..."
Weiteres zur Geschichte der Mariensäule kann man dem oben angegebenen Link entnehmen, aus dem auch oben zitierter Text entstammt.
In der Zwischenzeit hat sich der Himmel mit Wolken mehr und mehr zugezogen und Wind kommt auf. Ich nehme meine Beine in die Hand und schaue, dass ich ins Tal nach Waxweiler komme. Der Weg nach unten entpuppt sich als sehr steil, und ich bin froh, als ich nach einem ziemlich anstrengenden Abstieg über unwegsame Pfade den Ort erreiche. Das Gasthaus mit meinem Bett finde ich relativ schnell. Es befindet sich genau gegenüber der Kirche St. Johannes der Täufer.
In meinem Zimmer angekommen werfe ich erst einmal alles von mir und anschließend mich höchstpersönlich unter die sehr willkommene heiße Dusche. Danach begehe ich den Fehler, mich einen Augenblick ins Bett zu legen, was zur Folge hat, dass ich jetzt eigentlich nicht mehr aufstehen möchte. Doch mein knurrender Magen treibt mich schließlich noch einmal aus dem Bett, und in die nächste Pizzeria im Ort, die glücklicherweise keine fünf Minuten von meiner Unterkunft entfernt liegt.
Nach erfolgreicher Nahrungsaufnahme schleiche ich zurück zu meiner Gaststätte und falle erschöpft ins Bett, nicht ohne noch darüber nachzudenken, dass ich mir am nächsten Morgen ein paar Schutzpflaster für meine malträtierten Fußballen besorgen muss. Die zwei Tage Fußmarsch hintereinander machen sich bemerkbar und ich schlafe wie ein Murmeltier.
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