5.8.2017. Die neunte Etappe: Von Waxweiler nach Neuerburg, ca. 18 km
Am nächsten Morgen weckt mich quäkende deutsche Schlagermusik. Aber nicht aus meinem Zimmer, denn mein Handywecker kennt nur gepflegten englischsprachigen Pop aus SWR 3, bzw. meiner Musik-Playlisten, die ich dort gespeichert habe. Nein, diese "herzerfrischende" deutsche Schlagermusik erschallt aus dem Stockwerk über mir. Und da ich momentan der einzige Gast im Hause bin, hege ich den düsteren Verdacht, dass meine Gastwirtin gerade ihre Lieblingsmusik hört. Na ja, jedem das Seine, bzw. in dem Fall das Ihre.... Wie dem auch sei, ich quäle ich mich mit ziemlich steifen Gliedern aus meinem gemütlichen Bett, weil mich bei dieser einzigartigen Musikbeschallung keine zehn Pferde mehr in selbigem halten können. Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass dieser Tag eher ein Nieselregen-Tag zu werden scheint. Na ja. Nachdem ich mich aus-gehfertig gekleidet und meinen Rucksack wieder mit seinen Innereien gefüttert habe, begebe ich mich nach unten in den Essraum. Dort muss ich ein wenig warten, bis die Wirtin sich von ihrer Musik trennen kann. Schließlich bekomme ich aber dann doch mein Frühstück und auch meinen Pilgerstempel. Die Pilgerstempel erhält man außer in den Kirchen oder Pfarrbüros häufig auch in den Gaststätten oder kleinen Hotels am Weg. Als es dann schließlich an´s Bezahlen geht, muss ich doch ein bisschen schlucken. Für den gleichen Service wie in der Pension in Schönecken, bezahle ich hier fast 20 Euro mehr als dort. Wahrscheinlich bedingt durch die zusätzliche Musikuntermalung, eine Art "Schlagertaxe".... Aber unter uns, eigentlich hätte ich dafür eher noch Rabatt erhalten müssen.
Nachdem die Wirtin und ich uns dennoch herzlich voneinander verabschiedet haben, möchte ich der gegenüberliegenden gotischen Pfarrkirche St. Johannes der Täufer noch einen Besuch abstatten, denn gestern war ich dazu definitiv zu müde. Das bereue ich jetzt, denn leider scheint sie heute darüber zu schmollen, hält sie doch hartnäckig ihre Tore verschlossen. Schade. Ich hätte sie gerne von innen besichtigt. Näheres darüber erfährt der interessierte Leser am Ende meiner achten Etappe, dort habe ich zu dieser Kirche einen Link gesetzt.
Anstelle der Kirche statte ich nun dem Lebensmittelmarkt des Ortes noch einen Besuch ab, um mich mit diversen Nahrungsmitteln einzudecken. Denn das ist auch wichtig. Für mich jedenfalls. Dann starte ich endlich meine neunte Etappe Richtung Neuerburg.
Die heutige Etappe gilt als einer der intensiveren Eifelwanderstrecken, denn sie steigt jetzt erst einmal um 200 Höhenmeter in fünf Kilometern. Das bemerke ich auch sofort, denn kurz nachdem ich das Flüsschen, die Prüm, überquert habe, beginnt der steile Aufstieg. "Das kann ja heiter werden", denke ich, denn ich bemerke relativ schnell, dass ich schon zwei Tage Wandern hinter mir habe. Die Kondition ist hierbei noch nicht mal das Problem, vielmehr maulen meine Fußballen bei jedem Schritt. Und das, obwohl ich sie am Morgen schon mit entsprechenden Pflastern verarztet habe.
Die Steigung bleibt unerbittlich bestehen, und so schleiche ich, wieder einmal leise vor mich hin schimpfend, die Eifelberge hinauf. Es geht beim bergauf Gehen nie um Schnelligkeit, es ist viel wichtiger, nicht ständig nach Atem ringend stehen zu bleiben, sondern immer gleichbleibend weiter zu gehen. Ständige Pausen im Berg machen müde. Diese markigen Sätze geistern mir in meinem Hirn herum, in memoriam an meinen Papa, der uns das bei zahlreichen Bergtouren in den Alpen immer wieder eingetrichtert hat.
Irgendwann empfängt mich das kleine Dorf Bellscheid. Dort glaube ich mich auf dem "Gipfel" des Berges angekommen, aber der Eindruck trügt. Es geht hier zwar erst einmal wieder ein bisschen bergab, aber mein Weg nimmt nur Anlauf, um dann wieder so richtig steil anzusteigen. Mein Schimpfen nimmt heute kein Ende. Aber das kennen wir ja schon. Das ist kein Grund aufzugeben. Zumindest nicht für mich.
Wenigstens hat es inzwischen aufgehört zu nieseln. Der Himmel jedoch bleibt gleichbleibend grau. Mir ist das alle Mal lieber als praller Sonnenschein. Während ich so vor mich hin trotte, höre ich aus dem noch weiter entfernten Wald Musik. Aber wenigstens keine Schlager wie heute morgen schon beim Aufwachen. Das war ja die reinste Schocktherapie. Im Gegenteil, der ganze Wald scheint zu rocken, das reinste Waldbeben. Deutlich bessere Musik auch, als bei meiner allerersten Etappe durch den Kottenforst an Vatertag. Andererseits ist das auch keine große Kunst. Trotz meiner schmerzenden Füße ertappe ich mich nun, dass ich im Rhythmus der Musik beginne, mit zu zappeln. Mir kommt das immer lauter werdende Lied auch sehr bekannt vor. Aber leider fällt mir der dazugehörige Titel nicht ein. ..."achen heart".... brumme ich mit, und prompt fällt mir ein, dass ich den Text auf meine Situation aktualisieren sollte in ..."achen feet".... Bei diesen Gedanken lache ich leise stöhnend vor mich hin und ächze weiter den Berg hinauf, frohlockend der Musik entgegen. Ächze dann an den jungen Leuten vorbei, die am Waldesrand ihre Rockparty feiern und die mir ihrerseits ein wenig mitleidig, teils auch schadenfroh, zu winken, und prompt, als ob das nicht schon Hohn genug wäre, verfällt der Weg in eine noch steilere Steigung. Da ich aber eine Kämpfernatur bin, werfe ich mich auch dieser Steigung entgegen und bezwinge sie mit langsamen, aber drohenden Schritten. An einer etwas flacheren Stelle entdecke ich zu meinem Entzücken eine einsame Bank, die ich dann mit Beschlag belege. Dort säße ich vermutlich immer noch, wenn nicht ein ziemlich kräftiger Wind aufgekommen wäre, so dass es mir dort bald zu ungemütlich wird. Also stapfe ich nach einer kürzeren Pause mehr oder weniger verdrossen weiter. Doch die schlimmste Steigung habe ich glücklicherweise jetzt bewältigt, und ca. 20 Minuten später erreiche ich endlich Krautscheid, meinen höchsten Punkt für heute.
Krautscheid in der Eifel ist bei den Anhängern von Autocross- und Stockcar -Rennen bekannt für seine Autocross - Strecke, auf der regelmäßig Rennen stattfinden. Genauer gesagt, schon seit 1969. Aber mich interessiert das jetzt weniger. Stattdessen suche ich St. Valentin auf, eine kleine romanische Kapelle mitten im kleinen Dorf.
Dort verweile ich eine kleine große Weile, weil ich mich in der Kapelle sehr wohl fühle, wie in vielen romanischen Kirchen. Aber nicht zu lange, sonst komme ich nicht mehr in Schwung, und der Rest der Wanderung wird zur Quälerei. Nach dieser Selbsterkenntnis schultere ich wieder einmal meinen Rucksack, verabschiede mich von der freundlichen kleinen Kirche...
... und passiere kurze Zeit später die Autocrossstrecke, die Krautscheid einen gewissen Bekanntheitsgrad verleiht, zumindest unter den eingefleischten Autocrossfans. Nun geht es den Weg erst einmal stetig bergab. Er ist hier geteert, und soweit ich das richtig verstanden habe, wird dieses Teilstück, das ich gerade entlang spaziere, auch für Rennen benutzt. Ein Glück für mich, dass gerade keines stattfindet. An der eingezäunten Rennbahn steht eine schattige Bank, die mich auf ein kleines Nickerchen einlädt. Mittlerweile lässt sich die Sonne wieder häufiger blicken und es ist ziemlich warm geworden. Dankbar nehme ich die Einladung der Bank an, und kurze Zeit später schlafe ich tief und fest, aber nicht lange. Als ich aufwache, packe ich hektisch meine Siebensachen wieder in den Rucksack. Denn ich werde noch einige Zeit benötigen, bis ich an mein heutiges Ziel gelange. Ich recke meine steif gewordenen Glieder und setze vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Meine Fußsohlen reagieren immer noch gereizt, aber sie fühlen sich etwas besser an, als vor meinem kleinen Nickerchen. Als ich ein wenig später in das sogenannte Wahlbachtal gelange, stelle ich entsetzt fest, dass es, wie sollte es auch anders sein, wieder steil bergauf geht. Ich schalte wieder in meinen langsamen Gang mit kombiniertem Ächz- und Stöhnmodus um, winke ein paar Kühen zu, die mich neugierig beäugen und mir zum Abschied ein Liedchen hinterher muhen. "Ja, ja, denkt euch nur euren Teil."
Dennoch motiviert durch ihre Melodie erklimme ich die folgende, etwa zwanzigminütige Steigung mit Bravour, bis ich den kleinen Weiler Windhausen erreiche. Dort scheinen geschätzt nicht mehr als ca. 30 Einwohner zu leben. Ich mag´s ja auch gerne ländlich, "aber trotzdem möchte ich hier nicht begraben sein", denke ich. Das wäre mir dann doch zu einsam hier.
Mit diesen schwer wiegenden Gedanken im Kopf überquere ich die Hauptverkehrsstraße von Windhausen, um danach in einen Weg einzutauchen, der von riesigen Roggenfeldern (wenn ich mich nicht täusche) umsäumt wird. Gott sei Dank verläuft der Weg hier die meiste Zeit flach.
Die Roggenfelder enden an einem kleinen Waldstück, das ich durchquere, um dann auf freier Fläche an einem Sportplatz vorbei auf Ammeldingen zu zu laufen. Vorbei an einem Baum, der sich unter der Last von reifen roten Mirabellen (?) fast biegt. Ich stoppe sofort, um mir dort meinen Bauch mit diesen leckeren Früchtchen vollzuschlagen und versäume auch nicht, mir genügend Pflaumen als Wegzehrung mitzunehmen. In Ammeldingen angekommen, ist es natürlich wieder Ehrensache für mich, die dortige Kirche St. Isidor näher in Augenschein zu nehmen. Wer ebenfalls Näheres über die Kirche erfahren möchte, der kann, wieder nebenstehenden Link anklicken.
Nach meinem Kirchenbesuch mache ich mich wieder auf meinen Weg, der mich nach einem kurzen Intermezzo durch den Ort quer durch Maisfelder führt, relativ steil bergab, was genauso anstrengend sein kann wie ein steiler Weg bergauf. Doch dann nähere ich mich langsam einem sehr schönen Laubwald, der in der Hauptsache aus Buchen zu bestehen scheint. Als ich in den Wald hinein laufe, scheint er im Sonnenlicht fast zu leuchten.
Nach der erfolgreichen Durchquerung des "leuchtenden" Waldes erreiche ich das kleine Dorf Plascheid, und danach geht es über einen offenen Höhenweg zwischen Feldern hindurch mit einem Traumblick auf die mich umgebende Landschaft. Trotzdem fluche ich wieder einmal ziemlich unpilgermäßig vor mich hin, weil meine Füße mir fleischbällchenmäßig wehtun. Die ganze Zeit keine Probleme mit den Gelenken, auch nicht mit der Kondition, noch nicht mal Blasen an den Füßen, aber die Fußsohlen, die schmerzen höllisch, und das finde ich überhaupt nicht witzig.
Irgendwann mündet der Höhenweg im Neubaugebiet von Neuerburg. Dazu sollte man wissen, dass dieses Neubaugebiet an den oberen Hängen des Tales liegt, in dem sich der Ortskern befindet. Und diese Hänge fallen hier sehr steil ins Tal hinab.
Und der steile Abstieg, der nun folgt, ist für mich der blanke Horror. Ich sterbe einen Heldentod nach dem anderen, weil meine Fußsohlen derartig laut "schreien", dass mir bei jedem Schritt fast die Tränen kommen. Irgendwann habe ich es dann aber doch geschafft und erreiche endlich das lang ersehnte Tal. "Jetzt nur noch ein paar Meter", denke ich und humple tapfer los, immer in dem Gedanken, dass die Eifeldörfer bislang ja nicht so sehr groß waren. Dieses Mal ist es jedoch ein bisschen anders. Denn, was ich jetzt noch nicht weiß, das kleine Hotel mit meinem Pilgerzimmer befindet sich am anderen Ende des Ortes, und der Weg zieht sich anscheinend endlos. Die "letzten Meter" stellen sich als ein halbstündiger Marsch heraus, den ich jedoch wahrscheinlich mit unlädierten Fußballen in der Hälfte der Zeit geschafft hätte. Aber meine Füße fordern ihren Tribut und ich muss alle Nasen lang pausieren... Endlich gerät mein lang ersehntes Ziel in mein Visier, und ich stürme los, um es ohne Rücksicht auf die Protestschreie meiner Füße zu erobern.
Im Hotel erklärt man mir, dass mein Pilgerzimmer sich mitten im Wellnessbereich im ersten Stock des Hauses befindet. Als ich die Tür des besagten Bereiches erreiche, und einen vorsichtigen Blick hineinwerfe, denke ich, "das kann jetzt nicht sein", denn ich stehe direkt in einer Art Ruheraum mit Liegen und Handtüchern. Und fühle mich mit meiner schmutzigen Wanderkluft mitsamt Rucksack etwas fehl am Platze. "Wahrscheinlich habe ich mich verirrt", überlege ich weiter, verlasse den Raum fluchtartig und humple so schnell den Flur hinunter, wie es meine Füße erlauben, um an anderer Stelle mein Zimmer zu suchen. "Gott sei Dank lagen da jetzt keine halbnackten Menschen herum", überlege ich. Meine Flucht bringt mich aber auch nicht so richtig weiter, und wenige Minuten später stehe ich wieder vor derselben Türe. Wagemutig öffne ich dieselbe ein zweites Mal und schleiche mich durch den besagten Ruheraum, um dann in einen weiteren gefliesten Raum zu gelangen, der an eine kleine Schwimmhalle erinnert, in dessen Mitte sich eine offene Sammeldusche befindet. An der einen Seite ist eine Art Whirlpool zu sehen. Gott sei Dank ist dort jetzt niemand. An den übrigen Seiten entdecke ich einige Türen. Eine führt direkt in eine Sauna, eine andere in einen Massageraum, hinter einer dritten scheinen einige Pumpen ganze Arbeit zu leisten, jedenfalls hören sich die Geräusche, die durch diese Tür zu hören sind, nach Pumpgeräuschen an. Dann scheint es noch einen Umkleideraum zu geben. Aber wo ist mein Zimmer? "Es kann ja wohl nicht sein, dass ich im Whirlpool übernachten soll", überlege ich, als ich eine weitere Tür direkt neben dem "Pumpenraum" entdecke. Vorsichtig probiere ich meinen Schlüssel dort aus. Er passt. Hinter der Tür entdecke ich mein Zimmer, mein heiß ersehntes Bett, einen kleinen Tisch und eine kleine Toilette. Alles ganz einfach. Aber dafür ist es auch deutlich preiswerter als die übrigen Hotelzimmer, eben ein richtiges Pilgerzimmer. Zum Duschen muss ich hinaus in den Wellnessbereich... Das kann ja lustig werden. Oder vielleicht auch interessant? Jetzt gehe ich aber erst einmal etwas essen.
Als ich gesättigt zurückkehre, ist der Wellnessbereich nicht mehr leer. Zwei Personen aalen sich im Whirlpool. Ich flaniere ganz lässig an den beiden vorbei, und grüße sie in den Whirlpool hinein. Doch bis ich meinen Rucksack endlich ausgepackt habe und soweit bin, um dort selbst ein bisschen zu entspannen und zu duschen, habe ich den gesamten Bereich wieder für mich alleine und genieße den Aufenthalt dort sehr!
Als ich später sehr entspannt und mit deutlich weniger schmerzenden Füßen in meinem Bett liege, begleiten mich die regelmäßigen Pumpgeräusche aus dem Nebenraum in einen tiefen Schlaf.
Fazit: Es war ein sehr schöner, wenn auch ziemlich anstrengender Wandertag, den ich dennoch genossen habe. Allein, um wieder einmal festzustellen, dass man auch, wenn man an seine Grenzen gelangt, immer noch viele Energie- und Überlebensreserven hat. Es geht weiter, auch wenn man oft denkt, dass man eigentlich nicht mehr kann. Oder will.
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