6.8.2018. 10. Etappe: Von Neuerburg nach Mettendorf/Eifel, ca. 10 km
Am nächsten Morgen wache ich einigermaßen erfrischt auf. Vorsichtig bewege ich meine Füße und Zehen hin und her. Gut. Es fühlt sich wieder ziemlich normal an. Aber die Wahrheit wird an´s Licht kommen, wenn ich die ersten Schritte gegangen bin.
Als ich schließlich wanderfertig mein Zimmer verlasse, finde ich den Wellnessraum menschenleer vor. "Eigentlich schade", denke ich. Ein netter Anblick hätte mir vielleicht zusätzlich den Tag versüßt. Aber jetzt Schluss mit diesen abdriftenden Gedanken, denn schließlich befinde ich mich ja auf Pilgertour ...
Während des Frühstücks beschließe ich dann, meine heutige Etappe ein wenig zu kürzen. Ursprünglich wollte ich heute so um die 16 km gehen, doch meine Füße haben sich bei meinen ersten Probeschritten doch noch ziemlich empfindlich angefühlt.
Darum bitte ich nach einem ausgiebigen Frühstück am Buffett die nette Dame am Empfang um ein Telefonat nach Nusbaum, wo ich ursprünglich eine Unterkunft reserviert hatte. Sie ist sogar so nett und übernimmt das Telefonat selber und empfiehlt mir gleichzeitig eine Unterkunft in Mettendorf, die sie dann auch noch direkt für mich reserviert. Wie praktisch. Ich fühle mich direkt entspannter, weil die heutige Tour um ca. sechs km kürzer sein wird, als ursprünglich geplant. Ich kann mir also jede Menge Zeit lassen. Warum soll ich auch jeden Tag los dackeln wie ein wild gewordenes Rennpferd, um eine gewisse Kilometerzahl zu schaffen, zumal es ja hier in der Eifel ziemlich bergig zugeht. Ja, gut, die Wortwahl in letztem Satz ist ein wenig gewagt, aber ich glaube, jeder weiß, wie ich´s meine. Die Pilgerei soll ja schließlich nicht zum Leistungssport ausarten, und sie soll auch kein Martyrium sein. So katholisch kann ich gar nicht werden... Und keine Sorge, das wird mir auch nicht passieren, man erinnere sich nur an meine Gedanken eben oben im Wellnessbereich, außerdem bin ich kein besonders frommer Mensch, wobei das Wort "fromm" in meinen Ohren sowieso immer einen sehr schalen Beigeschmack hat. Altbacken und humorlos und sehr zielstrebig fällt mir in diesem Zusammenhang spontan ein. Zielstrebig im Sinne der katholischen Kirche, meine ich, und bei dem Gedanken wird mir ein wenig schummrig... Katholische Kirche .... ein weites sehr streitbares Feld, über das ich mich immer wunderbar aufregen kann.
Aber ich schweife ab. Wo war ich? Ach ja, kein Martyrium.
Heute also weniger Kilometer, es wird ein bisschen gemütlicher. Als ich meine mir lieb gewordene Herberge schweren Herzens verlasse, geistert mir die ganze Zeit mein viel gehasster Spruch "der Weg ist das Ziel" durch den Kopf. Darüber habe ich mich ja schon einmal ausgelassen. Ich hasse Plattitüden. Trotzdem überlege ich jetzt, ob ich nicht manchmal zu schnell mit meiner kategorischen Ablehnung bin. Ich neige dazu, dann keine "Zwischentöne" zuzulassen. Und prompt fällt mir ein Text ein, den ich vor einiger Zeit einmal geschrieben habe: "Porträt in Schwarz-Weiß und Bunt" , zu lesen in meinem Blog wolkenkrazzer.blogspot.com. Da geht es genau darum.
Natürlich möchte ich Neuerburg nicht den Rücken kehren, ohne mir die Pfarrkirche St. Nikolaus angesehen zu haben. Also erklimme ich wieder einmal einen kleinen Berg, um mein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Eigentlich will ich in Ruhe die Atmosphäre der Kirche genießen, aber ich "platze" mitten in die Sonntagsmesse - das hätte ich mir ja eigentlich auch denken können -, die sich aber schon ihrem Ende nähert.
Nach der Messe möchte ich dann noch ein bisschen die Ruhe der Kirche "einatmen", da taucht jedoch die Küsterin auf, die quasi "die Kerzen ausbläst".
Und sie hat offensichtlich Lust auf ein kleines Schwätzchen, wobei mir das Thema katholische Kirche für heute treu zu bleiben scheint. Unser Gespräch arbeitet sich durch sämtliche katholische Themen, die man sich denken kann, beginnend beim Priestermangel (was mich überhaupt nicht wundert!), über das Thema Frauen und Ordinariat und verheirateten Priestern, schlägt den Bogen zur säkularisierten Welt, deren Verschwendungssucht, und von da ist es nicht mehr weit zu ihrem Garten, in dem sie praktisch alles Gemüse selber anbaut. Im selben Atemzug lädt sie mich schließlich zu sich zum Mittagessen ein, worüber ich mich zwar sehr freue, aber ich hege die Befürchtung, dass ich dann heute überhaupt nicht mehr aus Neuerburg weg komme. Also lehne ich dankend ab und wir verabschieden uns herzlich voneinander.
Es ist schon Mittag, als ich Neuerburg verlasse. Es ist ziemlich heiß, und da die Sonne ziemlich stechend herunterbrennt, setze ich mein unaussprechliches Hütchen auf, frei nach dem Motto: "Mich kennt ja hier sowieso keiner". Der Weg führt wieder einmal sehr steil nach oben, so dass ich sehr froh bin, als ich meine erste Zwischenstation, die Kreuzkapelle erreiche. Das ist eine kleine Kapelle mit barocker Innenausstattung, die mitten im Wald oberhalb von Neuerburg liegt. Zu dieser Kapelle führt auch ein Kreuzweg, der ein bisschen oberhalb des Teerweges entlangführt, den ich entlang gewandert bin.
Dieses hübsche Schattenplätzchen an der Kapelle nutze ich für eine kleine Pause. Die Kapelle selbst ist gesperrt. Man kann zwar hineinsehen, aber nicht hineingehen. Nach der Besichtigung derselben verlustiere ich mich noch ein wenig auf der Bank im Schatten und mache ein paar "schnuckelige" Selfies von mir.
Bevor ich jedoch zu träge werde, denn es ist wirklich sehr heiß heute, sammle ich meine lahmen Knochen zusammen, werfe mir wieder einmal lässig meinen Rucksack auf den Rücken und setze meinen Weg fort, der erst einmal weiterhin steil ansteigt.
Irgendwann wird es dann aber endlich flacher, und der steile Aufstieg belohnt mich mit einem wunderschönen Ausblick in das Tal hinunter nach Neuerburg.
Während ich so vor mich hin wandere - meine Füße streiken Gott sei Dank bisher noch nicht - begegne ich wieder einmal einer älteren Frau, die auf einer Bank sitzt. Offensichtlich hat sie auch schon eine kleine Wanderung hinter sich und verspeist hier gemütlich ihre Brotzeit. Ihr Alter schätze ich jenseits der 70, sie wirkt aber sehr fit und munter. Als ich an ihr grüßend vorbeigehen möchte, beginnt sie sofort ein Gespräch mit mir. Heute scheint der "Tag der Frauen" zu sein. Wir unterhalten uns lange über das Wandern und sind uns beide sofort darüber einig, dass wir Wandergruppen, die in Pulks die Natur stürmen, überhaupt nicht mögen. Lieber alleine oder zu zweit. Wir nicken uns verständnissinnig zu. Auch sie lädt mich ein, mit ihr gemeinsam Rast zu machen. Und wieder lehne ich ab. "Warum denn eigentlich?", frage ich mich. Ich glaube, insgeheim bin ich lieber allein, als ich das nach außen hin zugebe. Auch ein Thema, das mich immer wieder heimsucht. Einerseits das Lieber-Allein-Sein-Wollen, andererseits die Traurigkeit genau darüber. Ich verstehe mich manchmal selbst nicht.
Kurze Zeit, nachdem ich mich von der freundlichen Dame verabschiedet habe, gelange ich in einen sehr schönen lichtdurchfluteten Buchenwald, komme an einer Stieleiche vorbei, um die sich im Volksmund folgende Geschichte spinnt:
Die Stieleiche "wird auf etwa 300 Jahre geschätzt und trägt ein Kruzifix. Dieses wurde von Müttern angebetet, deren Kinder das Weinen (=Kreischen) nicht lassen konnten..." Darum wird diese Eiche im Volksmund auch Kreijschkoos genannt. Aus: Retterath, Ingrid: "Jakobsweg Via Coloniensis, von Köln nach Trier", S. 177 . (Nähere Angaben zum Buch s. im Blog auf der Seite "Über mich". )
Nachdem ich der "Kreijschkoos" die ihr gebührende Aufmerksamkeit geschenkt habe, jedoch ohne zu "kreischen" und einem Spinnennetz im letzten Augenblick geschickt ausgewichen bin, das quer über den Weg "gespannt" ist - sollte das vielleicht eine Falle sein? - , führt mich mein Weg erst einmal weiter durch den Wald. Kein Mensch zu sehen. Einfach wunderschön. Am Waldrand angelangt erstrecken sich vor mir einige Maisfelder. Auf mich wirken sie wie ein einziges riesengroßes Maisfeld.
Als ich schon ein Stück des Weges durch die Maisfelder hinter mir habe, sehe ich ca. 100 Meter vor mir einen Fuchs aus dem Feld springen. Er sieht mich und bleibt stehen, wie ich auch. So stehen wir einige Zeit Auge in Auge, darauf wartend, dass der jeweils andere dezent seinen Rückzug antritt. Das Gegenteil ist der Fall. Anscheinend hat er sich entschlossen, mich näher kennenlernen zu wollen und kommt gemütlich auf mich zu. Ich finde das überhaupt nicht witzig, überschlage im Kopf alle möglichen Fluchtmöglichkeiten, wie zum Beispiel, mich meinerseits ins Maisgestrüpp zu werfen, was mir aber auch nicht sehr schlau erscheint. Ich sehe mich im Geiste schon mit Schaum vor dem Mund im Mais liegen. Sehr erquickend ist diese Vorstellung nicht. Der Fuchs bleibt stehen, als ob er abwarten wollte, was jetzt mein Plan ist. Der ist ganz einfach: Ich trete so unauffällig, erst rückwärts gehend, dann aber vorwärts laufend und dabei so schnell wie möglich meinen Rückzug Richtung Wald an, dorthin, wo ich hergekommen bin. Glücklicherweise funktioniert er. Am Waldrand angekommen, sehe ich, dass der Fuchs mir nicht hinterher gelaufen ist. Er steht immer noch an gleicher Stelle wie eben, guckt zu mir herüber. Aber ihm wird das jetzt offensichtlich zu langweilig, so dass er sich wieder in das Maisfeld schlägt. Trotzdem warte ich noch eine Weile, bis ich dann ein zweites Mal todesmutig meinen Weg durch die Maisfelder antrete, dieses Mal unbehelligt von irgendwelchen Füchsen, Wölfen, Bären... oder Spinnen.
Nach diesem kleinen Abenteuer geht es ohne weitere Zwischenfälle vorwiegend durch offene Wiesen. Die Sonne sticht unbarmherzig auf mich herab. Ich kann noch nicht einmal Schattenspringen. Einfach, weil kaum Schatten da sind. Nach einem steilen Abstieg gelange ich ins Tal an den Friedhof von Niederraden. Passenderweise mache ich dort meine nächste Rast und döse für die nächste Stunde auf einer kleinen Wiese neben dem Friedhof im Schatten. Die Hitze des heutigen Tages setzt mir ziemlich zu. Trotzdem schaffe ich es nach ca. einer Stunde, meine müden Knochen für den "Schlusssprint" noch einmal einzusammeln und die letzten Kilometer in Angriff zu nehmen. Mein Weg führt mich erst an der Landstraße entlang bis zu dem kleinen Dorf Sinspelt. Dort überquere ich auf einer kleinen Brücke die Enz. Nachdem ich Sinspelt erfolgreich hinter mir gelassen habe, führt mich mein Weg durch die Wiesen immer an dem kleinen Flüsschen entlang, bis ich es ein zweites Mal auf einer kleinen Brücke überquere.
Das Ufer hier fällt dem Betrachter mit seinem roten Sandstein direkt in`s Auge. Müde von der Hitze setze ich mich eine Zeit lang an das schattige Ufer dieses kleinen Baches, um ein wenig dem Plätschern des Wassers zu lauschen. Nachdem mir die Enz ihre tiefsten Geheimnisse offenbart hat, entschließe ich mich, ein wenig träge geworden, die letzten Meter bis nach Mettendorf auch noch hinter mich zu bringen.
Kurze Zeit später erreiche ich den kleinen Ort und statte auf dem Weg zu meiner Unterkunft wie immer, auch der Kirche einen kleinen Besuch ab.
Die Kirche St. Margareta in Mettendorf wurde ursprünglich als spätgotische Kirche im 15. Jahrhundert erbaut. Im 19. Jahrhundert wurde sie umgebaut und erweitert.
Seitdem wurden noch einige Umbauten vorgenommen. Weiteres dazu ist unter obigem Link zu lesen. Wie immer genieße ich die Stille und die angenehme Kühle(!) dieses Gebäudes, was es mir zusätzlich erschwert, diesen Ort wieder zu verlassen. Als ich irgendwann wieder auf meinen normalen Aggregatzustand heruntergekühlt bin und wie immer auch eine kleine Kerze angezündet habe, besiege ich meinen inneren Schweinehund und verlasse die Kirche schweren Herzens, um schließlich schnurstracks auf meine heutige Unterkunft zuzusteuern, die an derselben Straße liegt. Dort glücklich angekommen, ist mein erster Sprung der unter die Dusche. Das ist sowieso immer das Allerbeste und am meisten Ersehnte nach einem langen durchwanderten Tag, an dem es obendrein noch so heiß war, dass man sich irgendwo in den Tropen wähnte und nicht in der sonst eher ein wenig rauen Eifel!
Dieses Mal übernachte ich nicht im Wellness-Bereich eines Hotels, sondern in einem ganz normalen Hotelzimmer. Meine Nacht verläuft ohne Zwischenfälle. Für mein allabendliches Resümee bin ich heute viel zu müde. Nach der Dusche und einem durchaus leckeren Abendessen falle ich einige Stunden später in einen komatösen Schlaf, träume von gärtnernden und konversationsfreudigen Küstern, von ebenso konversationsfreudigen und schäumenden Füchsen, kreischenden Kindern, spinnenden Spinnen und einigem mehr...
Morgen werde ich, diesmal in Begleitung, von Mettendorf nach Bollendorf weitergehen. Bollendorf liegt an der Sauer direkt an der Grenze zu Luxemburg. Ich freue mich.
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