Heute starte ich nach einigen Monaten "Auszeit" von meiner letzten Auszeit zu meiner nächsten Auszeit. Dieses Mal wandere ich von Trier aus, dem Ziel meiner letzten Pilgertour durch die Eifel im August des letzten Jahres (2017). Ich weiß, dass meine "Berichterstattung" der Zeit ein wenig hinterher hinkt, aber ich hoffe, diese Verzögerung ist nicht allzu dramatisch.
Dieses Mal fahre ich nicht selber, sondern ich lasse mich nach Bad Honnef an den Bahnhof bringen. Von dort beabsichtige ich, mit der 66 zum Bonner Hauptbahnhof zu fahren, von dort aus weiter mit dem Zug nach Trier.
Nach einer längeren Wartezeit am Bahnhof von Bad Honnef kommt mir einiges plötzlich ein wenig spanisch vor. Ich finde keine Anzeigetafel für die Stadtbahn, der Bahnhof wirkt ziemlich verlassen, eine Szene ähnlich wie in einem Italo-Western à la Sergio Leone. Deshalb beschließe ich, mich ein wenig an dem kleinen "Busbahnhof" um zu sehen, der sich direkt vor dem Bahnhof befindet. Dort entdecke ich wenigstens einige Leute, die offensichtlich ebenfalls vorhaben, diese wenig anheimelnde Gegend zu verlassen. Also stelle ich mich dazu, in der Hoffnung, dort irgendwo einen Abfahrtsplan für meine Bahn zu finden. Natürlich Fehlanzeige. Schließlich frage ich eine Dame, die sich gerade zu mir gesellt hat, ob sie eine Ahnung hat, wo denn hier die 66 abfährt. Die guckt mich erst einmal ein bisschen irritiert an, als sei ich grün-blau kariert im Gesicht und antwortet: "Ja, die fährt hier nicht ab. Da sind Sie falsch." "Schön", denke ich, versuche, meine aufkeimende Ungeduld im Zaum zu halten und frage: "Ja, wo fährt sie denn dann ab?" "Da müssen Sie hier die Straße rauf auf die Brücke, da links, dann auf der anderen Seite wieder von der Brücke runter, dann noch ein Stück, und dann können Sie die Haltestelle schon sehen." Sie guckt mich groß an, wie ein neues Weltwunder, scheint einen Moment zu überlegen, ob ich vielleicht eine Bedrohung für sie sein könnte. Die Überlegung fällt zu meinen Gunsten aus, denn sie entscheidet sich, mitzukommen. "Mit der Bahn ist man schneller in der Stadt als mit dem Bus", bietet sie mir als Erklärung an, als wir einträchtig nebeneinander herstapfen. Als ob ich das nicht schon längst gewusst hätte.
Ab diesem Moment weicht mir diese Dame bis zum Bonner Hauptbahnhof nicht mehr von der Seite. Im Gegenteil, ich habe den Eindruck, sie will diese Zeit nutzen, mir in komprimierter Form, quasi als Zip-Datei, ihre Lebensgeschichte vorzutragen. Und die ist in meinen Ohren ziemlich abgedreht. Die Geschichte, meine ich. Ich darf hier nur erzählen, dass sie Buddhistin ist und Meditationswanderungen unternimmt. Sie nennt das Gehmeditation. Irgendwie scheint sie in der Annahme zu schweben, ich sei in ähnlicher Sache unterwegs. Bezieht man das dieses Mal auf mein Gehtempo, könnte das vielleicht auch zutreffen... Aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Als wir schließlich den Bonner Hauptbahnhof erreichen, verabschiede ich mich von ihr, buddhistisch und meditativ umnebelt. Als ich wieder einigermaßen klar denken kann, muss ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass sämtliche Züge aus allen und in alle Himmelsrichtungen Verspätung haben, da auf der Strecke zwischen Köln und Bonn ein Baum auf die Gleise gestürzt ist, der den Bahnverkehr samt und sonders über den Haufen wirft. Sprich, es fährt gar nichts mehr. Zumindest nicht nach Koblenz.
"Das ist ja großartig", murmele ich und fluche etwas derbe vor mich hin, denn als stolze Besitzerin eines Sparpreistickets bin ich an bestimmte Züge gebunden, das heißt, ich sollte auf jeden Fall meinen Anschlusszug in Koblenz erreichen, sonst verfällt es.
Als dann irgendwann nach einer gefühlten Ewigkeit an dem völlig überfüllten Bahnhof dann doch noch mein Zug eintrifft, habe ich mich darauf eingestellt, dass mir mein Anschlusszug in Koblenz wahrscheinlich gerade vor der Nase wegfährt. Dieses Mal allerdings werde ich positiv überrascht, denn buchstäblich in letzter Minute erreiche ich ihn dann doch noch. In Koblenz angekommen, nehme ich meine Beine in die Hand und stürme im Schweinsgalopp über die Gleise und springe - gerade noch rechtzeitig - in den Zug nach Trier, der dann auch sofort losfährt.
Nach einer guten Stunde ohne weitere meditations- oder baumgeladene Zwischenfälle habe ich mein Ziel erreicht. Hier ist es deutlich wärmer als bei uns im "hohen Norden". Ein wenig bedauere ich, keine luftigeren Sachen mitgenommen zu haben, aber das würde auch mehr Last beim Tragen bedeuten, denn jetzt im Mai kann das Wetter in jede Richtung "aus- und umschlagen". Dann lieber wärmere Sachen, als womöglich die meiste Zeit frieren. Mehr Last im Rucksack benötige ich wirklich nicht, die habe ich auch so...
Vom Bahnhof führt mich mein Weg zuerst einmal in meine Unterkunft, die Casa Chiara in der Nähe der Porta Nigra, wo ich mich dem Großteil meiner materiellen Lasten entledige. Den restlichen Nachmittag nutze ich zu einem Bummel durch die Stadt, lasse mich treiben, genieße ausnahmsweise heute die Anonymität unter den vielen Menschen, die mich sonst manchmal so traurig macht.
Nach einem original römisch antiken Abendessen in der Abendsonne auf dem Hauptmarkt von Trier mit einer Speisekarte geschrieben in lateinischen Lettern, was mir als begeisterte Lateinerin das Herz höher schlagen lässt (ja, ich weiß, diese Affinität verstehen nur wenige...), schlendere ich schließlich zu meiner Herberge zurück.
Hier schreibe ich in Kurzfassung meine heutigen Erlebnisse in mein Wandertagebuch, damit ich nichts vergesse.
Morgen geht es los.
Ich habe wahnsinnige Lust aufs Gehen, vielleicht ja deshalb, weil gerade sonst nichts zu gehen scheint.
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